Mein erstes Dunkelretreat

von | Jun 12, 2023 | Entwicklung, Gesundheit

Ich war zur Jahreswende 2022/23 für 12 Tage in der Dunkelheit. Es war so dunkel, dass ich meine Hand vor den Augen nicht sah. Das Retreat war mit einem Saft-/Gemüsebrühefasten verbunden, was die Sensibilität für meine Wahrnehmungen noch erhöhte, weil mein Körper nicht mit der Verdauung beschäftigt war.

 

Lichtwahrnehmungen während des Retreats

Immer wieder suggerierte mir mein Gehirn, dass ich scheinbar in einer Dachgeschosswohnung mit Dachbalken das Retreat verbrachte. Es zeichnete mir Designer-Sitzmöbel vor oder besser in meine Augen, die so nicht vorhanden waren. Es war gleich, ob ich die Augen geöffnet hatte oder ob ich sie schloss. Nach dem 2. Tag sah ich einen Sternenhimmel, den ich über die Zeit des Retreats immer wieder aufrufen konnte, wenn ich mir das Wort Sternenhimmel selbst laut vorsagte. Ganz am Anfang war es so, dass ich bewegliche Formen sah wie eine Formenlandschaft aus Teig, die ich mit meiner „Gedankenkraft weiterbauen“ konnte. Diese Formen waren bei mir oft monochrom in weiß oder in grün.

Wenn ich die Augen fest zusammengekniffen hatte, sah ich kleine gelbe Blitze. Ich erinnerte mich an meine Kindheit, wo ich meine Augen oft gerieben hatte und dadurch Lichteffekte im Dunkeln von meinen Augen ausgingen. Diesmal war es etwas anders. Ich hatte dann die Wahrnehmung, dass irgendwo Licht in meinen Augen gespeichert war, dass jetzt zum Vorschein kam und herausgelöst wurde. Ich konnte den Effekt immer wieder hervorrufen.

 

Feinstoffliches Qi als Licht sichtbar

Seit fast 20 Jahren übe ich Qi Gong. Besonders bei den Übungen, wenn der Kopf nach unten geht und ich dann langsam wieder nach oben komme, habe ich ganz viele kleine rote Punkte in der Höhe meiner Stirn und des Gesichtes „gesehen“ oder besser wahrgenommen. Nach solch einer Übungen bringen wir dreimal das Qi mit beiden Händen wieder nach unten. Dabei habe ich festgestellt, dass sich dieses rote Licht mit jedem Mal vom Kopf bis zur Brust herunterschieben konnte. Das Licht/Qi/Wahrnehmung wurde immer weniger, bis ich nach dem dritten Mal wieder im Dunkeln stand.

 

Zeitempfinden und Langsamkeit

12 Tage sind fast zwei Wochen. 12 Tage sind 12 x 24 Stunden gleich 288 Stunden. Diese sind 17.280 Sekunden oder 1.036.800 Sekunden. Wie bei vielen Dingen, dass der Weg zu einem Ziel einem subjektiv länger vorkommt als der Rückweg war auch in meinem Dunkelretreat, dass die ersten sechs Tage langsamer vergingen als die restlichen sechs Tage. Es wird damit begründet, dass alle neuen Eindrücke das gesamte System mit Aufmerksamkeit bindet und auf dem Rückweg das System auf „Autopilot“ stellt, weil der Weg scheinbar bekannt ist…

Ein absolut phänomenaler Eindruck war, dass ich das Gefühl hatte, dass Zeit unendlich vorhanden und im Übermaß vorhanden ist. Da ich normalerweise einen vollen Tag mit Bürojob und ab Nachmittag Kinderbetreuung und Familienalltag habe verging im Dunkelretreat die Zeit überhaupt nicht. Gut, ich war einerseits voll auf mich konzentriert und hatte keinerlei Sinnesablenkungen. Auch kam in mir in den ersten Tagen oft der Wunsch hoch, mir mit einem Hörspiel oder Podcast die Zeit „zu vertreiben“. Ein Handy oder ähnliches war im Dunkelretreat zu Recht nicht erlaubt und hätte meine erwünschte Ablenkung gebracht. Ich konnte meine innere Unruhe wahrnehmen und beobachten, dass ich endlich den Abend herbeisehnte. Die Stunden, Minuten und Sekunden vergingen überhaupt nicht. Durch regelmäßiges zu mir nehmen meiner Fastengetränke und ein selbstaufgelegtes Qi Gong-/Yogaprogramm während des Dunkelretreats habe ich den Tag strukturieren können und mein Zeitempfinden normalisiert.

Durch wiederholtes Meditieren und „Herumdämmern“ im Bett habe ich mich viel ausgeruht und brauchte nur wenig Schlaf. Allein durch das Nachtflugverbot und die geringeren Geräusche des Verkehrslärms konnte ich feststellen, dass es nachts sein müsste.

Ein weiteres Phänomen bezüglich Langsamkeit war nach dem Dunkelretreat beim nach Hause fahren offenbar. Ich war sehr verlangsamt als ich zur S-Bahn lief. Ich habe die Menschen beobachtet wie sie in der Großstadt herumhetzen und von irgendwas getrieben sind zu erfüllen für sich und andere. Ich war komplett in meiner Mitte und nicht im Wunsch ähnlich schnell zu agieren, um irgendwas zu erreichen. Ich habe gar nicht zur äußeren Welt connected und mich „fortreißen“ lassen. Mein inneres Gefühl der Langsamkeit war stark verbunden mit meinem Herzen. Ich merkte schon nach längeren Meditationssessions in den Jahren vorher, dass mein Herz eine ganz andere und vor allem viel langsamere Geschwindigkeit als unser hektischer Alltag-/Arbeitswelt hat. In den ersten Tagen konnte ich immer in mein Herz hineinfühlen und spüren, welche Tätigkeiten und vor allem in welcher Geschwindigkeit mir gerade gut tun. Ich konnte mich absolut daran orientieren und merkte sofort, wenn mir etwas zu schnell oder für mich unpassend war.

 

Plötzliche Schmerzen aus dem Nichts

Durch die starke Konzentration auf mein Innenleben war ich ein perfekter Beobachter meiner Körperempfindungen geworden. Ich hatte keinerlei Ablenkungen durch die Außenwelt und der Hauptsinnesreiz, die Augen, waren ausgeschaltet. Das Aufsteigen von Schmerzen, die nicht von physischer Natur sind, hatte ich bereits in einem taoistischen Meditationsretreat kennengelernt. Schmerzen müssen nicht unbedingt mit dem physischen Körper zusammenhängen oder dort ihren Ursprung haben. In der chinesischen Medizin sind Schmerzen als Blockade definiert, was vor allem das Qi, Flüssigkeiten oder beispielsweise ein Gelenk sein können. In der Dunkelretreaterfahrung konnte ich meine feinstofflichen Prozesse beobachten und war im Bereich des Qi präsent. Gefühle und Emotionen sind mit dem Qi-Fluss verbunden und sind feinstofflicher Natur.

Nach meiner Auffassung und Erfahrung sind diese im Emotionalkörper gespeichert. Die Chinesen gehen sogar davon aus, dass bestimmte Gefühle und Emotionen in den fünf Hauptorganen gespeichert sind und dort transformiert werden können. Die praktische Erfahrung war, dass durch das stundenlange Meditieren sich Schmerzen in bestimmten Körperregionen zeigten und durch reine Beobachtung veränderten. Der Prozess kann durch ein Auftauchen einer großen Luftblase (Schmerz) im Meer bildlich beschrieben werden. Das Schmerzgefühl war von einer 0-10er Schmerzskala auf einer acht, was immer aushaltbar war. Wenn ich mit der Aufmerksamkeit nicht beim Schmerz bleiben konnte, war die Gefahr groß, den Schmerz zu unterdrücken und dann war der Schmerz wieder verschwunden. Wenn ich mit der Aufmerksamkeit nah am Schmerz sein konnte, spürte ich mehrmals, wie die Luftblase aufstieg, sich in dem Meer auflöste und der Schmerz verschwand ohne dass ich das Gefühl hatte, dass ich den Schmerz verdrängt hatte.

 

Das Licht kommt wieder und die Körperempfindungen in Bezug zum Äußeren

Nach dem Auftauchen aus der Dunkelheit nach 12 Tagen lief ich für ca. 20 Minuten im Garten. Ich merkte, wie langsam das Qi vom Körperoberteil zu den Beinen und Füßen floss. Das war ein sehr langsamer Prozess. Ich hatte das Gefühl, als ob ich von oben wieder auf den Boden „der Tatsachen“ ankomme. Ich könnte es auch Erdung oder Wieder-Neu-Verwurzelung nennen. Beim Abschlussgespräch merkte ich, dass ich ganz tief in mir selbst ruhte. Alles im Außen ist schön oder vorhanden. Das Phänomen war, dass ich das Gefühl hatte mit allem verbunden zu sein, doch ich musste nicht damit in Kontakt treten, weil ich das schon war. Mir kamen sofort Bilder hoch, dass ich mich jedes Mal etwas mehr mit den Dingen verliere, wenn ich nicht bei mr bleibe, sondern meine Aufmerksamkeit zu stark darauf ausrichte. Denn jedes Mal springt ein Teil von mir auch zu den Dingen und dann werde ich gefühlt etwas weniger und verliere mich in der Welt…
Jetzt nach vierzehn Tagen bin ich zwar wieder in meiner alten Haut, doch das Bewusstsein über diese Wahrnehmungsveränderung hat viel mit mir gemacht, in Einzelsituationen besser zu erkennen, ob ich mit mir und der Welt im Einklang bin oder ob ich mich von mir zu weit entfernt habe.

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