Auszeit im Bergdorf

von | Jun 20, 2023 | Gemeinschaft, Reisen

Wir sind fast am Ende unserer Italienreise angelangt. Es ist Pfingsten 2023 und wir besuchen eine Freundin in einem norditalinischen Dorf in ihrem fast autarken Haus in traumhafter Natur.

Wir fahren am wunderschönen Lago Maggiore entlang, der erste Tag seit über einer Woche mit strahlendem Sonnenschein. Nach einem kurzen Zwischenstopp und Spaziergang durch das sehr touristische Cannobio biegen wir ab ins Gebirge.

 

Ankunft

Durch den langen Regen sind die Hänge gesäumt von Wasserfällen, die uns alle paar Meter begegnen. Die Natur ist satt und grün. Die Straße ist schmal und kurvenreich und schraubt sich durch das Gebirge. Für unseren alten Opi mit nur 80 PS vollbeladen ist dies eine echte Herausforderung. Nach knapp einer Dreiviertelstunde endet die Straße mit einem Parkplatz. Diese kleine Straße gibt es überhaupt erst seit 2005. Vorher war das Dorf nur zu Fuß zu erreichen, circa 45 Minuten steiler Aufstieg vom letzen Dorf an der größeren Straße durch den Wald. Der Bau der Straße war nicht unumstritten. Der Pfarrer vor Ort meinte vor dem Bau, dass mit der Straße der Teufel ins Dorf komme. Vom Parkplatz aus führen noch ein paar Meter bis zum kleinen Platz im Dorf, diesen Abschnitt haben die Einwohner in Eigeninitiative gebaut.

 

Unsere Auszeit vor Ort

Das Dorf

Es ist Donnerstag 17 Uhr, das Highlight der Woche: Marktzeit. Eine halbe Stunde lang sind dann zwei Verkaufswägen auf dem Dorfplatz. Einer verkauft Obst und Gemüse , der andere Lebensmittel und Gemischtwaren. Der Gemüsewagen hat allerdings gerade Ferien. Eine Handvoll Dorfbewohner warten mit Einkaufszetteln in der Hand darauf, ihren Wocheneinkauf zu tätigen. Darunter ist auch unsere Freundin. Der kleine Lebensmittelwagen hat eigentlich ausreichend von allem, was man braucht. Und das guter und regionaler Qualität.

 

Das Haus und die urige Natur

Nach dem Einkauf gehen wir einen engen und steinigen Fußweg hinab zu ihrem Haus, das ganz am Dorfrand liegt und einen traumhaften und idyllischen Blick in den Garten, über die Wiese und den Wald ins Tal und das Gebirge bietet.

  Blick in den Garten mit Rosen  Garten mit Tisch und Kocher

Unsere Freundin hat das Haus bereits in den 1980ern von ihren Eltern als Feriendomizil bekommen und im Laufe der Jahrzehnte liebevoll und nachhaltig saniert. Der ursprüngliche Charakter ist erhalten geblieben. Es gibt zwar ein WC und eine Anbindung an die örtliche Wasserversorgung, jedoch keinen Stromanschluss. Etwas „Notstrom“ und Beleuchtung wird durch eine kleine Solaranlage erzeugt.
Ein richtiger Traum ist die Küche, die in der unteren Etage von außen zu begehen ist und in den ehemaligen Stall gebaut wurde. Zudem gibt es noch zwei schöne und beheizbare Zimmer und einen Dachboden, der im Sommer nutzbar ist.

Trinkwasser gibt es von der nahegelegenen Quelle, zu der wir sehr gerne Wasser holen gegangen sind.

 

Und gekocht wird tagsüber bei Sonnenschein auf einem Solarkocher, den wir bislang nur im Film „Vollkommen frei“ gesehen haben. Dieser funktioniert erstaunlich gut. Richtig leckeres Essen kann man auch im offenen Kamin kochen und es gibt auch einen alten Küchenofen, so dass die Gasflasche, die ohnehin schwer dorthin zu transportieren ist, nur ergänzend eingesetzt wird.

Solarkocher

Sofort bei Ankunft setzt bei uns die Ruhe und Entspannung ein. Wir sitzen viel im Garten, machen Wanderungen durch die imposante Natur und schlafen sehr gut. Jeden Tag ernten wir die üppigen Wildkräuter von Wald und Wiese und bereiten daraus leckere Wildkräutersalate zu. Einzig das Rauschen des nahegelegenen Wasserfalls ist unterschwellig zu hören. Und die vielen Vögel, die zwitschern.

 

Wanderungen durch die Natur

An einem Morgen wandern wir den alten Fußweg runter zum nächsten Dorf, in dem es auch eine Bar mit einem kleinen Lebensmittelladen gibt. Dies ist für uns ein ganzes Vormittagsprogramm. Es ist für uns schwer vorstellbar, dass man bis 2005 dort geparkt hat und alle Sachen hoch ins Dorf getragen werden mussten.

Fußweg ins nächste Dorf   alte Stufen auf dem Weg ins nächste Dorf

Wir wandern auch am Fluß entlang, genießen die raue und schöne Natur und baden im eiskalten Wasser. Von den Bergen gegenüber hat man auch eine traumhafte Aussicht auf das Dorf. Auf der Alm dort hat auch ein junger Schweizer ein Haus gekauft und saniert es liebevoll.

am Fluss  Wald  Blick ins Tal

 

Leben im Haus….

In Gesprächen mit unserer Freundin erfahren wir noch viel rund um das Haus und das Dorf. Jeder Gegenstand im Haus hat eine Geschichte, zum Beispiel die schwere Granitplatte am Kamin, die große gußeiserne Pfanne, das Dach, für dessen Sanierung sogar ein Helikopter gebraucht wurde und das in Eigenregie mit vielen Freunden erneuert wurde,….

In früheren Jahren wurde im Sommer auch eine große Jurte aufgebaut, in der viele Menschen Platz fanden. Es fanden über die Jahrzehnte viele Veranstaltungen auf dem Grundstück statt wie Seminare und Kurse, Frauenkreise, Abitur-Vorbereitungen von Schülern einer freien Schule, Einzel-Auszeiten, ….

Garten mit Stellplatz für die Jurte  Blick aus dem Küchenfenster

 

… Einleben im Dorf

Leicht hat man es als Zugezogene wohl auch hier nicht, selbst wenn man italienisch spricht, wird man kritisch betrachtet und kann es sich leicht mit dem Alteingesessenen verderben und wird gemieden oder gar geächtet. Dies ist unserer Freundin auch schon passiert, als sie mit anderen Frauen eine Zeremonie im Rahmen eines Frauenkreises gemacht hatte – in bester Absicht, jedoch einigen im Dorf als „Hexenritual“ und Angriff auf einen Dorfbewohner, der im Krankenhaus lag, umgedeutet.
Im Dorf gab es auch schon andere Bestrebungen wie die Schaffung eines Freilerner-Ortes durch einen Belgier. Dieser wurde nach den Geschichten jedoch von den Dorfbewohnern abgelehnt und hat das Dorf schließlich verlassen.

Häuser im Dorf  Straßemit Häusern im Dorf  Weg mit Kapelle

Das Nachbarhaus, welches sich in der Mitte den Eingang mit dem Haus teilt, gehörte bis vor kurzem einer französischen Familie und wurde unlängst an eine befreundete süddeutsche Familie verkauft. Dieses hat bereits Strom und ist „zeitgemäßer“ saniert worden.

Noch wird dieses Haus von unserer Freundin ungefähr die Hälfte des Jahres bewohnt.

 

Ein Traumort! – Unser Traumort?

Die ersten zwei Tage lang überkam uns das Gefühl, dass wir an unserem Traumort angekommen sind – bevor die Vernunft wieder einsetzt und Fragen kommen wie:

– Wo geht man hier einkaufen? Können und wollen wir immer in die Stadt fahren, um unsere Vorräte aufzufüllen?

– Ist es nicht zu einsam hier? Für uns? Für die Kinder? Braucht es nicht Kinder und Jugendliche im gleichen Alter, die genauso oft vor Ort sind?

– Wie kann man online arbeiten ohne Strom und Festnetz?

– Würden wir es schaffen, im Winter ständig Holz zu machen und die einzelnen Öfen zu beheizen?

– Würden für uns die Zimmer ausreichen?

– Kommen wir allein in der Fremde an?

 

Abschied

So entscheiden wir, das dies noch nicht „unser Ort“ sein wird und genießen die restlichen Tage, irgendwie auch mit etwas Unruhe und leichter Wehmut.

Ob der Teufel mit der Straße ins Dorf kam, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls verändert sich seitdem noch mehr die Art der Dorfbewohner. Die Häuser werden oft an Ausländer aus Deutschland und der Schweiz verkauft, manchen gefällt die Ruhe und Natur sogar so gut, dass sie für die Familie bereits das zweite Haus dort kaufen.

 

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Mit der Absendung eines Kommentares wird der Datenschutzerklärung zugestimmt.