Vorweg: dieser Beitrag lag seit März auf meiner Festplatte und wartet darauf, online zu gehen.
Reisefamilien und Freilerner: Keine Familie gleicht der anderen.
Am meisten fasziniert mich die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Familien, mit denen wir auf der Reise ein Stück zusammen gehen dürfen. Gestern bekam ich wieder einmal einen kleinen Einblick in das „Schicksal“ einer Familie. Ein Einblick, der mich gerade aufgrund der Gemeinsamkeiten und vor allem der Unterschiede zu unserer Familie so bewegte, dass ich diesen Artikel schreibe.
Diese Familie hatte ähnlich wie wir ein Kleinkind und auch größere Kinder dabei. Die Eltern hatten in Deutschland beide studiert, „einen guten Job“, ein Eigenheim, wo sie sich es mit einem schönen Garten und einer kleinen Selbstversorgung traumhaft und idyllisch eingerichtet hatten, viele Freunde, ein normales Kindergarten- und Schulleben bis alles sich anders entwickeln sollte. Es gab gesellschaftliche Themen, die sie ansprachen, zu heftige Mobbingaktionen in der Schule, die Entscheidung, die Kinder nicht mehr dem unerträglichen Mobbing in der Schule auszusetzen, Anzeigen des Direktors beim Jugendamt, Einladung zu gerichtlichen Verhandlungen wegen Kindeswohlgefährdung, gerichtlicher Vorführung mit Sondereinsatzkommando und starker körperlicher Gewalt, dem Verkauf des Hauses und der Entscheidung, die weitere Zukunft reisend im Ausland zu verbringen. Ich war zutiefst bewegt und beeindruckt, mit welcher Intensität und Unterschiedlichkeit sich Menschen auf die Reise machen.
So viel Vielseitigkeit, Liebe, Wut, Hoffnung, unterschiedliche Motivationen und Gründe zu Reisen und so viel gewonnene Lebenserfahrung begegnete mir vorher in Deutschland nicht.
Habt ihr eine Vorstellung davon, wer sich so alles auf den Weg macht, um länger die Welt zu erkunden?
Reisen mit Kleinkindern in der Elternzeit
Viele Familien nutzen die Elternzeit, um sich eine Auszeit zu nehmen und auf Reisen zu gehen um die Welt zu erkunden. Die meisten fahren im direkt im ersten Jahr nach der Geburt des Kindes. Andere auch in einer späteren Elternzeit noch mal schnell vor der Einschulung.
Kitafrei reisen
Wir treffen auch viele Familien oder Elternteile, die sich mit ihren jüngeren Kindern ohne die Institution der Kindertagesstätte oder des Kindergartens oder einer anderweitigen Fremdbetreuung in ihrer ursprünglichen Heimat auf den Weg gemacht haben und nun im Ausland unterwegs sind.
Reisen mit älteren Kindern
Bei dieser Altersgruppe beginnt die wirkliche Vielfalt der Möglichkeiten und unterschiedlichen Lebenskonzepte. denn sobald die Kinder ins schulpflichtige Alter kommen, greift in Deutschland die Schulpflicht in Form der Schulgebäudeanwesenheitspflicht. Hier gibt es in der Regel die meisten Fragezeichen. Denn sicherlich stellt sich jeder, der zum ersten Mal davon hört, dass man überhaupt „einfach so“ mit Schulkindern ins Ausland gehen kann, die Frage
„Ja, geht denn das überhaupt? Müssen die Kinder nicht in der Schule sein?!“
Reisen mit von der Schule beurlaubten Kindern
Trifft man für die Kinder die Entscheidung, diese aktuell nicht in die Schule zu schicken und zu reisen, bietet sich als temporäre Möglichkeit an, die Kinder von der Schule temporär beurlauben zu lassen. „Geht denn das?“, „ist das erlaubt?“, „bekommt man für so was die Genehmigung?“ werde ich öfter gefragt. Und ja, es geht.
Voraussetzung dafür jedoch ist, dass man überhaupt in der glücklichen Lage ist, eine Schule im Background zu haben, in der die Leitung das Wissen und die Bereitschaft hat, von ihrem Recht der Beurlaubung für maximal ein Schuljahr Gebrauch zu machen. Nicht immer, wenn ein Direktor dies ablehnt, muss dies böse gemeint sein. In vielen Fällen ist es lohnend, selbst proaktiv zu wirken und die Schulleitung über diese Möglichkeit aufzuklären und im gemeinsamen Gespräch darauf hinzuwirken.
In dieser Zeit führen die Eltern von jüngeren Kindern oder ältere Kinder selbst oft Berichtshefte, Reiseblogs und ähnliches und dokumentieren, was sie sich in der Zeit alles an Wissen aneignen.
Ich kann aus eigener Erfahrung nur empfehlen, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, selbst wenn es kein ganzes Jahr (Maximum für eine Freistellung durch den Direktor ohne Einbeziehung des Schulamtes). Wir selbst sind Anfang 2022 für ein paar Wochen losgezogen und haben den kalten und grauen deutschen Winter gegen eine paar super sonnig-warme Sommerwochen auf Sansibar eingetauscht und wollten danach dieses befreiende Lebensgefühl nicht mehr missen.
Längerfristige Reisen mit „schulpflichtigen“ Kindern
Eine Möglichkeit, der deutschen Schulgebäudeanwesenheitspflicht zu entgehen, ist natürlich, stattdessen in ein Land zu gehen, wo es rechtlich Möglichkeiten gibt, zuhause zu lernen.
Dazu werde ich sicherlich später einmal schreiben und HIER verlinken.
Die allermeisten Familien mit älteren Kindern haben sich bewusst für ein längerfristiges Reiseleben entschieden, gerade um der strengen Schulpflicht in Deutschland zu entgehen. Denn sobald man sich in Deutschland abmeldet (wie man das idealerweise macht, was es zu beachten gibt und welche Fehler man dabei nicht machen sollte) und auch tatsächlich das Land verlässt, erlischt die Schulpflicht in Deutschland. Dem Reisen steht damit nichts mehr im Wege :-).
Geht denn das? – Ein Leben ohne Schule? Bleibt das Kind da nicht dumm?
Solche und ähnliche Fragen durften wir uns in unterschiedlicher Ausprägung öfter anhören.
Und nein: Ein Kind bleibt nicht dumm, da es ja ohnehin nicht dumm ist.
Und ja: wir alle lernen tatsächlich auch (und gerade auch) sehr gut ohne Schule.
Wie in der Praxis die Kinder auf Reisen lernen, ist sehr unterschiedlich und geht vom Onlineunterricht über klassisches Homeschooling bis hin zum Unschooling.
Wahrscheinlich werde ich auch hier keinen kompletten Überblick geben, sondern nur grob skizzieren, was alles möglich ist.
Onlineschulen
Es gibt für reisende Kinder die Möglichkeit, private Onlineschulen zu besuchen. Dabei gibt es sowohl rein deutsche Schule, die auf einen deutschen Schulabschluss hinarbeiten also auch internationale Schulen, bei denen man z.B. einen englischen oder amerikanischen Schulabschluss machen kann.
Das Angebot und die Preisgestaltung dazu sind sehr vielfältig.
Die Wahl einer Onlineschule ist sicherlich empfehlenswert, wenn man noch nicht weiß, ob man wieder zurück ins deutsche Schulsystem möchte oder wenn Wert darauf gelegt wird, einen entsprechenden Schulabschluss relativ einfach und organisiert zu bekommen.
Freilernen in seinen unterschiedlichen Facetten
Hier ist vom klassischen Heimunterricht nach Lehrplan über Lerngruppen (online oder vor Ort) bis hin zum kompletten Unschooling alles vertreten.
Wie sind Reisefamilien unterwegs?
Camper & Co.
Sehr viele Familien sind im Camper oder Wohnwagen unterwegs, in dem sie ihr Zuhause eingerichtet haben. Dies hat den Vorteil, dass man immer alles am selben Ort hat und auch wenn sich außer herum auf der Reise stetig alles verändert, der Wagen eine feste Konstante ist. Außerdem ist dies eine preiswerte Variante, da man sowohl privat als auch auf Campingplätzen oder auch frei stehen kann.
Mit dem Auto oder Flugzeug bzw. Bahn
Andere Familien sind mit dem Auto oder Flugzeug unterwegs und mieten dann auf den einzelnen Stationen Wohnungen, Häuser, Bungalows, Wohnwagen oder ähnliches, besuchen Freunde und Bekannte oder zelten sogar. Vorteil von dieser Variante ist sicher, dass man sehr flexibel weiterziehen kann, muss sich jedoch auf wenig Gepäck beschränken und hat kein „festes Nest“.
Und zum ausprobieren?
Wir konnten uns irgendwie vor unserer Abreise noch nicht entscheiden, ob und welchen Camper wir kaufen. Zudem hatten wir unseren treuen „Opi“, einen alten T 4 Baujahr 1998, den wir mit einem festen Dachzelt als Reich für unsere Mittlere ausgestattet hatten. Er hatte uns schon etliche Urlaube begleitet und wir sind ihm auch nach der ersten längeren Reise durch Ungarn und Rumänien treu geblieben. Wir haben zwar einen kleinen Hausstand, genügend Schlafplätze und eine Kochgelegenheit (Küche kann man dies nicht nennen). Für mehr als ein paar Übernachtungen ist der Bus jedoch viel zu klein und gerade in den Wintermonaten, die auch im südlichen Europa nicht so warm und trocken sind, nicht geeignet. So haben wir auf der bisherigen Reise immer Gemeinschaften, Bekannte, Ferienwohnungen, Unterkünfte zur längeren Anmietung oder Unterkünfte gegen Mitarbeit angesteuert.
Mittlerweile steht unsere Entscheidung jedoch fest und wir manifestieren uns den optimalen Camper.
Wie finanziert man das Ganze?
Ebenso wie das Freilernen wird auch das Thema Finanzierung und Einkommen sehr unterschiedlich gelöst.
Einige leben vom Verkauf ihres Eigenheims, andere von Ersparnissen.
Bei einigen Familien ist nur ein Elternteil mit den Kindern unterwegs, meistens die Mutter und der andere Elternteil arbeitet in Deutschland.
Ebenso haben wir Familien kennengelernt, die im Sabbatjahr auf Reisen sind, die entweder ihr Gehalt eingeschränkt weiterbekommen oder von Ersparten leben.
Auch die Vermietung des zuvor genutzten Eigenheims (oder anderer Immobilien) finanziert so manch einer Familie das Reisen.
Kurz-und mittelfristig kann man auch sehr im Rahmen von Wohnen gegen Hand / Urlaub gegen Hand und Workaqay, Woofing, etc. ohne viel Geld an interessanten Orten leben.
Und zwischen diesen Varianten und darüber hinaus gibt es wieder alle Variationen und Kombinationen wie zum Beispiel „Teilzeit-Mitreisende“, Angestellte, die remote arbeiten und „(teilzeit)mitreisen. Menschen, die vor Ort (mit)arbeiten.
Die wahrscheinlich sinnvollste Art ist wohl die Selbständigkeit mit einem Onlinebusiness, das ein ortsunabhängiges Einkommen generiert.
Fazit
Auch die Familie, die wir gestern kennengelernt haben, lebt gerade ausschließlich davon, dass sie alles hinter sich gelassen und ihr Haus verkauft hat. Bereits beim ersten richtigen Treffen haben wir viele Unterschiede im Lebensstil, dem Umgang mit dem Thema Freilernen und unser Geschichte erleben durften. Und dennoch ist jedes Treffen mit anderen bereichernd. Das schöne beim Reisen ist nämlich wie immer im Leben: „Man sieht sich meistens zweimal.“ Und so kreuzten sich unsere Wege mit denen anderer Reisefamilien schon des Öfteren. Manchmal zufällig und manchmal auch verabredet.
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